Reise zum Rohr
Wochenenden, die sich lohnen - Horst Christoph fährt fort
Kalsdorf bei Graz ist nicht unbedingt ein touristischer Hot Spot - dennoch einen Trip wert. In der Ersten Steirischen Kochschule dürfen Hobbyköche dem Meister nicht nur über die Schulter schauen, sondern auch selbst Hand an edle Fische oder kunstvolle Strudeltulpen legen
Die Szenerie ist gewöhnungsbedürftig. Autobahn-zubringer, Lebensmittel-Lagerhallen, Bauernmärkte. Immerhin verweisen die endlosen, abgeernteten Kürbisfelder auf Kulinarisches. Hier in Kalsdorf an der südlichen Peripherie von Graz kocht Willi Haider, unterstützt von seiner Frau Renate. Nicht für hungrige Gäste, sondern für und mit einer Schar wissbegieriger Kochbegeisterter, die mit Schürze und Notizblock angerückt sind, um einen Tag lang in der "Ersten Steirischen Kochschule" Tipps und Tricks der einfachen bis raffinierten Küche zu erfahren. Etwa wie man mit einem kalten Teller prüft, ob der Karamell die richtige, honigartige Konsistenz hat.
Die Kurse sind themenorientiert: Es geht um Lamm, Fisch, Suppen, Vollwertkost oder, wie heute, um kalte Süßspeisen. Die Atmosphäre in dem alten Haus mit Innenhof ist einfach und familiär. An einem großen Tisch haben um 9 Uhr morgens ein Dutzend Neugierige Platz genommen. Frauen überwiegen. Eine stillt ihr drei Monate altes Baby. Auf einer Bank nimmt das Prachtexemplar einer schwarz-weißen Katze gnädig blinzelnd Streicheleinheiten entgegen. Und auf Wandregalen stehen Kochprodukte und Geräte, die der Meister verwendet und die nach dem Kurs erworben werden können. Etwa das Öl, das die Kernölgemeinschaft Kalsdorf für ihn presst, oder eine minimalistisch-funktionale, speziell für Haider in Hongkong produzierte Wiegenpresse zum Herstellen von Erdäpfelpüree und Kastanienreis.
Jeder hat die Rezepte vor sich liegen, und der Chef erklärt, was es heute zu- zubereiten gilt: Creme Caramel, Schneenockerln mit Hollerröster und Kumquats, Beeren in Gelee, Joghurt-Beeren-Terri- ne, Sterzflammerie, dunkles und helles Schokomousse, Kastanienmousse in der Strudeltulpe, Honigparfait, Sorbet und Granité.
Und dann geht's in die Küche, wo sich die Gruppe im Halbkreis um zwei imposante Gasherde schart, hinter denen Willi Haider in den nächsten sechs Stunden zwei Liter Schlagrahm, zwei Dutzend Eier, Schokolade und Honig, Beeren und Früchte zu Köstlichkeiten verrührt. Wichtig dabei der Kühlschrank, zwei Backrohre und ein Megagefrierschrank, denn die Süßspeisen entstehen in einem Wechselbad von heiß und kalt.
Die Kochschüler werden in den Zubereitungsprozess einbezogen. Sie dürfen, von Willis Hand geführt, probieren, wie man den in heißes Wasser getauchten Esslöffel drehen muss, um den Mousse-Nockerln die perfekte Form zu geben (sehr schwierig!), oder welches poppige Geräusch die Creme Caramel machen muss, wenn man sie mit "kurzem, ruckartigen Schütteln aus der Form in den schräg gehaltenen Teller drückt".
Schon bei der Einführung ist klar geworden, dass die meisten Anwesenden nicht zum ersten Mal hier sind. Einige sind zu zweit gekommen, um die Rezepte gemeinsam nachzukochen. Und der allein stehende Pensionist verrät, dass er den ersten Kurs von einem Arbeitskollegen zum 60. Geburtstag bekommen hat, inzwischen bereits zwölf oder dreizehn Kurse absolviert hat und seither wegen seiner Kochkünste von den verheirateten Töchtern gelobt wird.
Auch außerhalb der Kurse läuft die Kommunikation zwischen Meister und Schülern. Einer erzählt stolz, dass er ein Buffet für zwanzig Personen zubereitet hat, für das ihm der Lehrer die Backbleche lieh. Und gegen Mittag, als gerade ein quadratisches Teigstück in mittelheißem Fett erfolgreich zur Strudeltulpe gedreht wurde, kommt ein Handyanruf. Was man denn mit einem Hecht, der ein Jahr in der Tiefkühltruhe gelegen ist, machen könne. Willi Haiders Rat: "Fischfond".
Die große Zahl der wiederkommenden Teilnehmer bedingt einen fixen Kursplan. Für jedes Thema gibt es bis zu 500 Interessenten, bei maximal 15 Teilnehmern pro Kurstag läuft also ein Thema einen Monat lang, dann folgt das nächste. Trotz langfristiger Buchungen, verspricht Terminjongleur Haider, "ist irgendetwas meistens frei". Inzwischen ist - nach einer kleinen Pause mit Jause - die Beerenterrine gestockt, der Karamell rinnt seidig über die feste Creme, und Joghurt und Fruchtmark verrinnt zu malerischen Mustern. []
Tipps zum Nachreisen
Information, Buchung und Unterkunftsvermittlung: Willi Haider. Erste Steirische Kochschule. 8401 Kalsdorf. Tel. 03135 / 52247. Fax 03135 / 55620. E-Mail: www.kochschule.at.
Termine: Montag bis Samstag, jeweils 9-15 Uhr, Sonn- und Feiertage: 13-19 Uhr, bei Bedarf auch Freitag 17-23 Uhr.
Kursgebühr: öS 1.500 /EURO109,01 Fenstermenükurse öS 1.800 / EURO130,8
Anfahrt: Mit Auto: Über A9, Graz-Spielfeld, Abfahrt Kalsdorf-Thalerhof. Per Bahn: Über Graz. Regionalverbindung Graz-Spielfeld-Strass bis Kalsdorf. Nach Vereinbarung Shuttleservice zur Ersten Steirischen Kochschule.
Weitere Wochenendziele in der Region: Südoststeirische Wein- und Thermenregion. Südsteirische Weinregion. Schilcher-Weinregion. Graz: Festival steirischer herbst: heuer mit vier Uraufführungen (bis 4. November) und Ausstellungen (bis 25. November bzw. 16. Dezember). Infos: Tel. 0316 / 816070
Den nächsten Kurztrip von Horst Christoph finden Sie am 9. November im RONDO.
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© DER STANDARD, 12. Oktober 2001